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Merkel ist Moderatorin, Leiterin einer Panel-Diskussion über Entwicklungspolitik im Rahmen des Uno-Millenniumsgipfels, auf dem die Vereinten Nationen über die Erfolge bei der Bekämpfung von Armut, Seuchen und Bildungsnotstand Bilanz ziehen. Gerade hat sie Meles Zenawi das Wort erteilt, dem Premierminister von Äthiopien, einem der weltweit größten Empfänger von Entwicklungshilfe. Da passiert es.
Zenawi sagt, dass es ihm wichtig sei, die Entwicklungsstrategie für sein Land selbst zu entwerfen. Dass es nichts bringe, wenn Geberländer bestimmen wollen, wie seinem Land zu helfen ist. Um Äthiopiens Selbstbestimmung zu wahren, nehme er in Kauf, weniger Geld zu bekommen. Merkel sagt, sie finde es nicht richtig, dass Länder mit Eigeninitiative weniger Geld bekämen. "Wie kann das sein?", fragt sie. Zenawi erklärt ihr, dass für die Mittelvergabe bestimmte Kriterien gibt.
Kampf um Einfluss im mächtigsten Gremium der Uno
"Vielleicht kann man da ja was machen?", fragt Merkel Robert Zoellick, den Präsidenten der Weltbank. Doch der belehrt sie. Die Kriterien, von denen Präsident Zenawi spreche, seien von den Geberländern definiert worden, sagt er. Unter anderem auch von Deutschland. "Es ist immer gut zu wissen, was in Ihrem eigenen Ministerium passiert", sagt Zoellick.
Der kleine Fauxpas der Kanzlerin ist symbolisch für ein Problem der deutschen Außenpolitik. Angela Merkel kämpft um internationales Prestige, dafür, dass Deutschland eine herausgehobene Rolle in der Weltpolitik spielt. Doch es gibt Zweifel, dass ihre Bundesregierung diese Rolle ausfüllen kann.
Die Kanzlerin kämpft auf dem Millenniumsgipfel nicht nur um Strategien der Armutsbekämpfung. Ganz nebenbei kämpft sie auch um einen nichtständigen Sitz im Weltsicherheitsrat, dem mächtigsten Gremium der Uno. Wer auf einem der 15 Plätze im Sicherheitsrat sitzt, kann über Krieg und Frieden mitentscheiden, wird bei vielen Uno-Veranstaltungen bevorzugt behandelt - ist auf der politischen Weltbühne ein herausragender Staat.
Deutschland konkurriert mit Portugal und Kanada
Deutschland würde den Sitz bereits zum fünften Mal innehalten. Sebastian Harnisch von der Universität Heidelberg spricht vom "demokratischen Reflex, bei der Entscheidung über Einsatzmandate und Transferzahlungen in internationalen Organisationen unmittelbar beteiligt sein zu wollen". Es handle sich um eine moderne Form des "No taxation without representation", sagt der Professor, der erst kürzlich eine Analyse der Merkelschen Außenpolitik veröffentlicht hat.
Am 12. Oktober werden fünf Sitze neu vergeben. Deutschland konkurriert um einen davon mit Portugal und Kanada. Für einen Sieg braucht Merkel zwei Drittel der Stimmen der Uno-Vollversammlung. Um möglichst viele Länder von der deutschen Kandidatur zu überzeugen, absolviert sie auf dem Millenniumsgipfel einen veritablen Meeting-Marathon.
Ein Mittagessen mit afrikanischen Staats- und Regierungschefs, Sondertreffen mit dem Präsidenten von Vietnam, dem Ministerpräsidenten von Buthan oder König Mohammad VI. von Marokko, die Podiumsdiskussion unter dem glitzernden Kronenleuchter des New York Palace Hotels: Merkel lässt nichts aus, um Staatschefs zu überzeugen, wie wichtig Deutschlands Rolle in der Welt ist.
Als wichtiges Argument dient dabei ein neues entwicklungspolitisches Konzept der Bundesrepublik, das sich Merkel von Norwegens Ministerpräsidenten Jens Stoltenberg abgeguckt hat: Die Zahlung von Entwicklungshilfen soll stärker an Erfolge beim Erreichen der Millenniumsziele geknüpft werden. Was damit genau gemeint ist, lässt Merkel den Norweger noch einmal auf dem Panel erläutern. "Wir zahlen beispielsweise Entwicklungshilfen für Kinder erst dann voll aus, wenn eine unabhängige Organisation bestätigt hat, dass das Empfängerland die Rate seiner Kindersterblichkeit gesenkt hat", sagt Stoltenberg.
Die deutsche Entwicklungspolitik hat eklatante Schwächen
Für genau diese Strategie macht sich jetzt auch Merkel stark. Sie wirbt im New York Palace Hotel dafür - und wird es wohl auch am Dienstagvormittag bei ihrer Rede vor den Vereinten Nationen tun.
Doch so sinnvoll das Konzept ist - und so gut es einer Staatschefin zu Gesicht steht, die sich um einen Sitz im Weltsicherheitsrat bewirbt: Die Initiative kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die deutsche Entwicklungspolitik eklatante Schwächen hat.
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